Dr. Martin Erdmann
Die romantische Bewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war weitgehend ein Protest gegen den Naturalismus der Aufklärung, wonach alles aus der Natur und diese allein aus sich selbst erklärbar ist. Als Reaktion darauf betonte die romantische Bewegung die emotionale statt der rationalen Seite des Menschen. Die Romantiker waren der Ansicht, dass die Philosophie der Aufklärung ein völlig unzureichendes Gefäß für den Ausdruck der tiefsten Sehnsüchte des menschlichen Geistes war. Sie lehnten sogar die Überzeugung des 18. Jahrhunderts ab, das Natürliche sei das Rationale und nur dieses. Für die führenden Köpfe der Romantik war dies nicht mehr der Fall.
Überbetonung des Gefühls und der Erfahrung
Die Reaktion begann auf eine eher schwache Art und Weise mit Rousseau, aber auch Kant und Fichte schürten ihre Flamme. Rousseau hatte mit der starren Auffassung des 18. Jahrhunderts vom Naturrecht gebrochen und war dazu übergegangen, das Gefühl und die persönliche Erfahrung wichtiger für das Leben anzusehen als abstrakte Überlegungen. Kant hatte dieser Reaktion mit seinem Beharren darauf, dass die äußere Erfahrungswelt zumindest teilweise von unserem Verstand erzeugt wird, einen Anstoß gegeben. Der Mensch sei also größer als die Welt, die unser Verstand hervorruft.
Das Zeitalter der Aufklärung war durch mindestens drei Grundannahmen gekennzeichnet. Die erste war, dass es eine dauerhafte rationale Ordnung der ewigen Wahrheit gibt. Die zweite folgte aus der ersten: Der Mensch kann diese Ordnung der ewigen Wahrheit durch seinen Verstand erkennen. Die dritte war die logische Konsequenz, nämlich dass der Mensch einen Willen hat, der in der Lage ist, gemäß den Wahrheiten zu handeln, die sein Verstand aus dieser Ordnung der ewigen Wahrheit abgeleitet hat. Der Mensch sei nicht nur fähig, diese Wahrheit anzuwenden, sondern er müsse sie auch bei allem, was er unternimmt, anwenden.
Diese Annahmen wurden von den Denkern der Romantik scharf angegriffen, und der allgemeine Konsens, der das Zeitalter der Aufklärung gekennzeichnet hatte, verschwand nach 1800. Es wuchsen nicht nur die Zweifel an der Existenz der ewigen Wahrheiten, sondern man war sich auch nicht sicher, wie die Kraft des menschlichen Geistes und Willens angewendet werden sollte. Das geordnete Universum des 18. Jahrhunderts war durch die Exzesse der Französischen Revolution schwer erschüttert worden, und in einem sehr realen Sinne war die Romantik eine Reaktion auf die selbstgefällige Gewissheit des vorangegangenen Zeitalters. Wenn die Aufklärer noch davon überzeugt waren, dass die Menschen wirklich rational seien und die Wahrheiten, die sie im Naturgesetz finden, anwenden könnten, so galt dies für die Romantiker nicht mehr.
Intuitiv glauben, was man glauben will
Als Reaktion auf die Vorherrschaft des Naturrechts im Denken des 18. Jahrhunderts wurden alle Grundannahmen dieser Epoche in Frage gestellt. Obwohl die Suche nach Gewissheit unvermindert weiterging, nahm sie eine andere Richtung oder gar mehrere Richtungen an. Die romantischen Denker konnten sich nicht wirklich auf eine allgemein akzeptierte Reihe von Überzeugungen einigen, sondern orientierten sich, wie schon Kant, an der Intuition. Sie waren der Ansicht, dass Kants Betonung der Intuition es ihnen ermöglichte, zu glauben, was sie glauben wollten. Die romantischen Denker lehnten die deistische Vorstellung ab, dass das Universum eine riesige Maschinerie sei, und zogen es vor, es als eine Art lebendigen Organismus zu betrachten, von dem der Mensch ein Teil sei.
Diese Denkrichtung wiederum führte zu einer Wiederbelebung des Individualismus, der individuellen Persönlichkeit wurde neue Bedeutung beigemessen. Diese Denker des frühen 19. Jahrhunderts blieben nicht bei ihrem Interesse an der menschlichen Persönlichkeit stehen; sie versuchten, dieses Konzept auf eine Interpretation des Universums zu übertragen. Diese Suche beziehungsweise dieses Interesse brachte sie zu dem Glauben an eine große Kraft hinter dem Universum, die man als Gott bezeichnen könnte und an die sich ihre religiösen Bestrebungen richten könnten. Dieser Gott, auf den sie blickten, war jedoch keineswegs der Gott der Heiligen Schrift, der das Universum geschaffen hatte. Er war vielmehr die Seele dieses Universums, und das Ergebnis war eine Wiederbelebung des Pantheismus, wonach Gott in allen Dingen der Welt existiert. Gott und Weltall seien demnach identisch. Diese Lehre war an die Stelle des Deismus getreten, wonach Gott die Welt zwar geschaffen hat, aber keinen weiteren Einfluss mehr auf sie ausübt; eine Vorstellung, die einen Großteil des religiösen Denkens der vorangegangenen Epoche beherrscht hatte. Der Übergang vom Deismus zum Pantheismus war nicht so tiefgreifend, wie es den Anschein haben mag. Die Romantiker waren der biblischen Welt- und Lebensanschauung nicht näher als ihre Vorgänger. Sie waren der Kälte der Naturrechtsphilosophie der Aufklärung überdrüssig und schufen sich einen Gott, der ein Teil der Welt war, wie sie diese sahen. Doch die Wärme, die sie zu erzeugen vermochten, war nicht das Produkt einer echten Wiederbelebung des christlichen Denkens. Sie war vielmehr eine Schöpfung ihrer eigenen hungernden Seelen.
Literatur und Musik vom romantischen Geist durchdrungen
Von dieser neuen Philosophie oder diesen neuen Philosophien, wie sie in Deutschland entstanden, gingen auch anderswo literarische und kulturelle Bewegungen aus. Goethe und Schiller vertraten sie in der deutschen Literatur, während Beethoven und Wagner ihre Grundphilosophie im Bereich der Musik widerspiegelten. In England schufen Wordsworth, Scott, Coleridge, Byron, Shelley und Keats eine literarische Schule, die weitgehend vom deutschen Idealismus, insbesondere von Kant und Fichte, inspiriert war. In den USA waren mit der transzendentalen Bewegung die gleichen Einflüsse am Werk. Emerson, Thoreau, Whittier, Lowell, Hawthorne und Whitman übersetzten – jeder auf seine Weise – den deutschen Idealismus in die amerikanische Denkweise, und das Ergebnis war die transzendentale Bewegung, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit des Landes auf sich zog. In vielerlei Hinsicht hatte sie einen ähnlichen Einfluss auf das politische, soziale und religiöse Denken dieses Landes, wie es in Deutschland, Frankreich und England der Fall war.
Alle diese jungen Künstler und Schriftsteller fühlten den Geist der Unendlichkeit in sich aufsteigen und suchten in unterschiedlichem Maße bei Kant, Fichte oder Schelling nach Inspiration. Aber für die meisten von ihnen war der Ausruf von Whitman eine genauere Beschreibung ihrer Perspektive: "Alles, was wir brauchen, ist Hegel."
Die romantische Bewegung war zum Teil eine Fortsetzung der Französischen Revolution, da sie die Autonomie des menschlichen Geistes als Quelle des menschlichen Denkens und Handelns ansah. Sie war eine Fortsetzung in dem Sinne, dass sie versuchte, die Vergangenheit in einem neuen Geist zu interpretieren. Gleichzeitig war sie aber auch eine Reaktion auf die Exzesse der Französischen Revolution, da sie der Ansicht war, dass die Menschen nicht so vollständig mit der Vergangenheit brechen können, wie es die Aufklärungsphilosophie, die diese Revolution hervorgebracht hatte, vorgab.
Der deutsche Idealismus nahm mit Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854), der an der Universität Jena zu seinem Hauptvertreter und Interpreten wurde, eine formale Gestalt an. Er war auch das Bindeglied zwischen Fichte und Hegel, und wie diese erhielt er seine frühe Ausbildung in der Theologie. In der Frühphase seines Denkens war er stark von Fichte beeinflusst und suchte den letzten Grund für bestimmte Erkenntnisse im Ich.
Der menschliche Wille ist frei
So bemühte sich Schelling in der ersten Phase seiner geistigen Arbeit, die Natur aus dem Ich abzuleiten. Da er auch an der Freiheit des Willens festhielt, betrachtete er Gott als eine notwendige Voraussetzung für den moralischen Glauben.
Bald wurde er in seiner Philosophie unabhängiger und stellte in der zweiten Periode seines Denkens Geist und Natur viel schärfer gegenüber als zuvor. Dies führte ihn zu dem Schluss, dass Wissen auf einer Übereinstimmung von Subjekt – der Bewusstseinssphäre des eigenen Ichs –, und Objekt – der Wirklichkeit außerhalb des Ichs – beruhen muss und dass es eine Korrespondenz, eine Vereinigung von Ich (Intelligenz) und Natur geben müsse. Daraus ergab sich das Eingeständnis, dass die Menschen zunächst die Intelligenz studieren sollten, um zu zeigen, wie die Objekte von ihr ausgehen.
Schelling begnügte sich jedoch nicht mit dieser Position und entwickelte eine dritte Stufe seiner Philosophie, in der der Einfluss Spinozas dominierte, und kam dazu, den menschlichen Geist und die physische Materie als praktisch identisch anzusehen.
Wie Spinoza sah sich auch Schelling mit der Schwierigkeit konfrontiert, die Frage zu beantworten, wie die absolute Identität mit einer Welt von verschiedenen Personen und Dingen in Beziehung gesetzt werden kann. Es handelte sich um das immerwährende Problem der Individuation – der Prozess der Selbstwerdung des Menschen, in dessen Verlauf sich der Mensch seiner eigenen Individualität zunehmend bewusster wird. Der Idealismus konnte wie auch seine Vorgänger keine Lösung finden, da es außer dem in der Heiligen Schrift offenbarten dreieinigen Gott keine Lösung gibt.
Alle Religionen offenbaren etwas von „Gott“
Gegen Ende seines Lebens wurde Schelling immer mystischer und wandte sich in seinem Verständnis der Wirklichkeit zusehends dem Neuplatonismus zu. Unter dem Einfluss des christlichen Mystikers Jacob Böhme kam er schließlich dazu, Gott als die ursprüngliche absolute Identität zu sehen, die dem Leiden und dem Wachstum unterworfen sei. Dieses mystische Wesen, so Schelling, nimmt am Fortschritt des Weltprozesses durch Kampf teil. Nach seinem Verständnis waren sämtliche Religionen fortschreitende Stufen der Gottesoffenbarung, und das Christentum war die Verkörperung der höchsten bisher bekannten Offenbarung.
In seiner Ethik vertrat Schelling die Auffassung, dass Freiheit Selbstbestimmung ist. Die Menschen denken die Dinge so, wie sie diese denken, nicht als Ergebnis einer äußeren Bestimmung, sondern aufgrund der Beschaffenheit ihres Geistes selbst. Die außerhalb des menschlichen Bewusstseins existierende Welt ist eben so beschaffen, wie sie nun einmal ist. Sie kann nur durch einen inneren Zwang – einen Willensakt des Ichs – überwunden werden.
Beurteilung aus biblischer Sicht
Es ist ganz offensichtlich, dass diese Sicht der ethischen Freiheit, die Schelling vorstellte, der biblischen Offenbarung völlig unbekannt ist und in Wirklichkeit gar keine Freiheit darstellt. Das menschliche Selbst, das unter der Herrschaft der Sünde steht, kann unmöglich in dem Sinne selbstbestimmend sein, in dem Schelling diesen Ausdruck verwendete; die Freiheit, die Schelling als Grundlage seines ethischen und moralischen Systems präsentierte, ist überhaupt keine Freiheit, sondern Sklaverei – Sklaverei gegenüber dem sündigen Selbst.
Schellings Auffassung von Freiheit war nicht nur eine Illusion, sondern seine idealistische Philosophie war völlig unzureichend, um das individuelle Bewusstsein in der endlichen Welt zu erklären; sie war sogar völlig unfähig, irgendeine sinnvolle Erklärung für die Realität und das Böse zu geben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass seine Position in Bezug auf Gott, die Welt, den Menschen und das Böse zutiefst gegen die biblische Gotteslehre gerichtet war. Sein Idealismus wurde von einem Irrationalismus begleitet, der, ausgehend von der Philosophie Kants, das moderne Denken langsam aber sicher zu seinem Tiefpunkt der Verzweiflung im Existentialismus des 20. Jahrhunderts führte; das Denken der Existenzialisten wurde als "neuer Glaube" an die Freiheit des Menschen in einer Welt ohne Gott angesehen.