Politik
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Dr. Martin Erdmann

Als sich in den Jahren um 1900 die Anzeichen zusehends vermehrten, dass ein neuer Krieg in Europa in Aussicht stand, dachte eine Reihe von einflussreichen Politikern und Meinungsmachern in angelsächsischen Ländern darüber nach, welches Mittel verfügbar sei, um den Krieg abzuschaffen und die meisten sozialen Missstände in der Welt zu lösen. Etwas musste getan werden, um die katastrophale Zerstörungswut des Krieges zu verhindern. In diplomatischen Kreisen war man sich einige, dass eine neue Weltordnung dringend notwendig sei. Die Durchführung dieses Projekts müsste in die Hände der Engländer gelegt werden, denn das Britische Imperium besaß – so die gängige Meinung – die qualitativ am höchsten entwickelte Kultur der Menschheit. Die Expansion ihrer überseeischen Kolonien und die Verbreitung der sozialen Wohlfahrt sah man als grundlegend für den Fortbestand der britischen Lebensweise an, die als eine Art Segen an alle Nationen der Welt weitergereicht werden würde. Einzig der Nationalismus stand diesem Plan als schier unüberwindliches Hindernis im Weg. Falls es gelingen sollte, eine neue Weltordnung einzurichten, müsste der Nationalismus in allen Ländern abgeschafft und ein Commonwealth etabliert werden, der sie in einer internationalen Konföderation vereint. Das föderale Regierungssystem der Vereinigten Staaten von Amerika würde als ideales Modell herangezogen werden.

Abschaffung von Krieg, Armut und Ungerechtigkeit

Nach dem Ersten Weltkrieg waren viele der Meinung, dass der Zeitpunkt endlich gekommen sei, einen Völkerbund einzurichten. Hohe Erwartungen der Menschen vieler Nationen begleiteten die Politiker der Siegesmächte auf ihrem Weg zur Pariser Friedenskonferenz. Mit der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags hegten amerikanische und englische Delegierte die Befürchtung, dass die Saat für einen weiteren Weltkrieg ausgestreut worden sei. Dass sie Recht haben würden, sollten die nächsten 20 Jahre unter Beweis stellen.

       John Foster Dulles, der Hauptakteur hinter der Einführung einer neuen Weltordnung, glaubte, dass die Lösung in der Abschaffung der nationalen Souveränität und der Vereinigung der Welt in eine einzige Nation liegen würde. Die durch Landesgrenzen verursachten Hürden würden dadurch automatisch eingeebnet werden.

       Die Politik könnte dieses Ziel jedoch nicht alleine erreichen; etwas Einflussreicheres würde gebraucht werden: die Kirche. Wenn die Kirche davon überzeugt werden könnte, dass man durch die Erschaffung einer neuen Weltordnung das Königreich Gottes einführen könnte, um Krieg, Armut und Ungerechtigkeit abzuschaffen, dann würden die Würdenträger der Kirche den Politikern gerne die Hand reichen, um einen weltweiten Commonwealth, ein weltweites Gemeinwohl, zu verwirklichen. Dulles‘ Absicht war, die Kirchen zu motivieren, sich aktiv im Errichten einer globalen Gesellschaft einzusetzen.

       Der amerikanische Bundesrat der Kirchen war sofort mit von der Partie, als ihm dieser Plan offeriert worden war. Eine der Ratsvorsitzenden deutete auf folgenden Umstand hin:

Es wird uns so langsam bewusst, dass das Königreich Gottes in der Vorstellung Christi niemals weniger als eine gerechte menschliche Gesellschaft bedeutete … er [Christus] kam nicht nur, um Menschen aus dieser Welt zu retten und einen weitentfernten Himmel mit ihnen zu füllen, sondern einen Himmel hier zu errichten. Er kam nicht, um die Wunden in der menschlichen Gesellschaft zu verarzten und die Welt für die Menschen etwas weniger unerträglich zu machen, sondern um alle Dinge neu zu machen und eine neue Sozialordnung einzurichten.

Die Kirche bekommt eine wichtige Rolle auf der Weltbühne

Aber genauso, wie die nationale Souveränität ein Hindernis für eine neue Weltordnung war, so würde auch ein exklusives Christentum das Kommen des Königreich Gottes abhalten. Da dogmatische Glaubensinhalte mit der ökumenischen Einheit nicht kompatibel waren, wurden sie zu Gunsten des Social Gospels (sozialen Evangeliums) zur Seite geschoben. Dies geschah dadurch, dass man die Bedeutung der christlichen Lehre heruntergespielte und die Prinzipien des Sozialismus hochhielt, um so das fortschrittliche Ideal des Sozialen Bekenntnisses von 1932 zu konkretisieren, nach dessen Vorgabe das Königreich Gottes auf Erden eingerichtet werden sollte. Nach und nach glichen sich die theologischen Merkmale des Königreichs der politischen und sozialen Agenda der neuen Weltordnung an. Entscheidend war auch die Anerkennung, dass das moralische oder natürliche Gesetz durch andere Religionen offenbart wird und von allen Menschen verstanden werden könne, sodass es eine moralische Macht sei, die über jeder einzelnen Religion stehe. Die in der christlichen Sühnelehre angebotene Erlösung von der Sünde wurde mit der in Aussicht stehenden Beseitigung von Krieg, Armut, Arbeitslosigkeit und Ungerechtigkeit ersetzt. Alle Weltreligionen müssten sich dieses Ziel zu eigen machen. Entsprechend der politischen Konstellation einer geeinten Welt, in der Großbritannien und die USA eine dominierende Rolle einnehmen würden, müsste das Christentum inmitten der anderen Religionen die Initiative ergreifen und eine Vorbildfunktion in der Verbreitung des Social Gospels einnehmen.

Weltkirchenrat unterstützt neue Weltordnung

Somit bildete sich in den Jahren zwischen den Weltkriegen die liberale Vorstellung eines Königreich Gottes aus, das mit der politischen Stoßrichtung für eine neue Weltordnung übereinstimmte. Dies führte 1943 zur Formierung des Weltkirchenrates, um die Erfüllung der Ideale des Social Gospels in allen Kirchen durchzusetzen. An der politischen Front gründete man 1945 die Organisation der Vereinten Nationen in San Francisco, um das Fundament zur schlussendlichen Einführung einer Weltregierung zu legen.

       Die ehrgeizigen Ziele dieser beiden Organisationen sind bis heute nicht vollumfänglich verwirklicht worden, obgleich sie weiterhin die Zielsetzung vieler politischer und religiöser Organisationen beeinflussen. In jüngster Zeit hat die „Emergent Church“-Bewegung den Versuch unternommen, mittels einer sozialen Agenda das Königreich Gottes auf Erden zu errichten. Darin folgt sie den Fußstapfen der liberalen Kirchen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, denn diese verwendeten fast identische Begriffe und Methoden in der systematischen Verbreitung ihrer Ziele. Leiter dieser Bewegung indoktrinieren eine neue Generation von Christen mit einem unbiblischen Verständnis des Königreich Gottes und der Mission der Kirche.