Dr. Martin Erdmann
Der erste Lausanner Kongress war zweifellos ein die Zukunft bestimmendes Ereignis in der Geschichte der Kirche, denn die Evangelisation nahm tatsächlich eine neue Wertschätzung unter vielen Christen an. Die hauptsächlich von John Stott verfasste Lausanner Verpflichtung maß dem Begriff „Evangelisation“ die zusätzliche Bedeutung zu, nicht nur auf die Verkündigung des Wortes Gottes bedacht zu sein, sondern sich auch in Sachen sozialer Gerechtigkeit weitläufig zu engagieren. Über die Jahre hinweg hat dieses erweiterte Aufgabenfeld christlicher Mission einen großen Einfluss auf die weltweite Kirche ausgeübt, die sich dazu verpflichtet sah, ihre Missionswerke anzuhalten, die Vorgaben und Zielsetzungen der Lausanner Verpflichtung umzusetzen.
Der 1989 durchgeführte zweite Lausanner Kongress in der philippinischen Hauptstadt Manila führte zu zahlreichen strategischen Partnerschaften, die die Notwendigkeit der Kooperation mit der römisch-katholischen Kirche in ethischen Fragen sowie Sozialarbeit und politischem Aktionismus betonten, solange das biblische Evangelium dadurch nicht verfälscht würde. Außerdem dominierten bei den Veranstaltungen des Kongresses charismatische Anbetungsstile.
Der 2010 durchgeführte dritte Lausanner Kongress in Kapstadt brachte mehr als 4000 christliche Leiter aus aller Welt zusammen, unter ihnen so bekannte Namen wie die Pastoren Rick Warren, Tim Keller, John Piper und Nicky Gumbel. Die sich über Jahre abzeichnende ökumenische Agenda von Lausanne trat nun für jeden sichtbar in Erscheinung, als der Generalsekretär des theologisch liberalen Weltkirchenrates die versammelten Teilnehmer ansprach und das Anliegen unterbreitete, die Christenheit sei in erster Linie dazu verpflichtet, die Einheit in Liebe zu suchen und lehrmäßige Unterschiede zur Seite zu schieben.
Das Lausanner Komitee für Weltevangelisation, unter der Bezeichnung „Lausanner Bewegung“ bekannt, ist seit 1974 darauf bedacht, Gemeinden, Missionswerke, christliche Netzwerke und christliche Leiter zu mobilisieren, um mit vereinter Kraft die Sache der Weltevangelisation zu schultern.
Es ist heute weltweit die größte und einflussreichste Institution des evangelikalen Christentums – eine wahrhaft internationale Bewegung, die von vielen nationalen Gemeindeverbänden und kirchlichen Werken unterstützt wird. Während der vergangenen fast fünf Jahrzehnte haben christliche Leiter unter dem Banner von Lausanne an regionalen, nationalen und internationalen Konsultationen, Seminaren und Konferenzen teilgenommen, um strategische Pläne zur Evangelisation der Welt zu entwickeln.
Für manchen Christen ist es schwierig zu verstehen, dass eine Organisation, die von den einflussreichsten christlichen Leitern unserer Zeit gegründet wurde, Werbung für ein verfälschtes sozialpolitisches Evangelium macht. Doch über die vergangenen fast 50 Jahre trat dieses Anliegen von Lausanne immer mehr in den Mittelpunkt. Die Leiter der Lausanner Bewegung rückten politisches Engagement, wie das Bekämpfen der globalen Erwärmung, die Reduzierung der Weltarmut und die politische Ermächtigung von Frauen in den Mittelpunkt. Die Verkündigung des Evangeliums verlor dementsprechend an Bedeutung und war nur noch eine unter mehreren gleichberechtigten Aufgaben, der den Christen aufgetragenen Pflichten. Es ist gleichfalls besorgniserregend, wie sich die Ökumene immer mehr in Szene setzt und das Denken der Emerging Church Fuß fasst.
Der dritte Lausanner Kongress in Kapstadt fand im Oktober 2010 in Zusammenarbeit mit der Weltweiten Evangelischen Allianz statt. Rund 4000 Leiter aus 197 Ländern nahmen daran teil. Laut Douglas Birdsall, dem Exekutivdirektor von Lausanne, „repräsentieren diese Leiter, die die Organisatoren sorgfältig aus tausenden von Antragstellern ausgesucht hatten, die demographischen, theologischen und kulturellen Wirkungsbereiche der globalen Kirche“. Der Kongress brachte bekannte Meinungsmacher und Entscheidungsträger aus den Bereichen der Kirche, Politik, Bildung, Medizin und den Medien zusammen. Die besten christlichen Fachkräfte ließen es sich nicht nehmen, maßgebende Impulse in Plenarsitzungen und Seminaren zu geben, die die zukünftige Entwicklung des weltweiten Neo-Evangelikalismus bestimmen sollte. Über 600 globale Satellitenempfänger in lokalen Kirchen wurden miteinander vernetzt, damit zusätzlich tausende von Teilnehmern aus 91 Ländern am Geschehen des Kongresses teilnehmen konnten, ohne die Reisekosten nach Südafrika auf sich nehmen zu müssen. Darüber hinaus wurden die Hauptveranstaltungen des Kongresses über das Internet ausgestrahlt, damit eine größtmögliche Breitenwirkung erzielt werden konnte. In seiner Eröffnungsansprache sagte Douglas Birdsall: „Dieser dritte Lausanner Kongress wird bereits als die repräsentativste und vielfältigste Zusammenkunft christlicher Leiter in der fast 2000-jährigen Geschichte der christlichen Bewegung beschrieben.“[2]
Die Wichtigkeit des Kapstadt-Kongresses unter evangelikalen Anglikanern zeigte sich darin, dass ein besonderer Gottesdienst in der All Souls Kirche, Langham Place, London zelebriert wurde. In seiner im BBC-Radio übertragenen Botschaft erinnerte Rev. Hugh Palmer die versammelte Gemeinde an die bedeutsame Tatsache, dass John Stott, der der Gemeinde als Rektor und Rektor emeritus[3] über 50 Jahre vorstand, aufs Engste mit der Durchführung des ersten Lausanner Kongresses in Verbindung stand. In einer weiteren Erklärung deutete Rev. Palmer darauf hin, dass John Stott hauptsächlich für die Abfassung der Lausanner Verpflichtung verantwortlich war, die eine Zusammenfassung einzelner Aktionsschritte war, die von den Teilnehmern beschlossen wurden. Als einflussreiches Dokument stand es seit jener Zeit als ein literarisches Monument für die geistliche Verantwortung, die die Christen im Dienst an dieser Welt in Wort und Tat auf sich nehmen. John Stotts Vorbild als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit übte einen großen Einfluss auf unzählige andere aus und animierte sie dazu, besonders in Entwicklungsländern eine vielschichtige Gemeindearbeit zu leisten. Die das Anliegen von Lausanne in die Tat umsetzenden Missionare konzentrieren sich auf die Verbreitung von christlicher Literatur, halten Pastoren zur Verkündigung des Wortes Gottes an und heben den Bildungsstand der Bevölkerung und wirtschaftlichen Status vieler Armen an. Diese verschiedenen Dienstleistungen werden nun von der Langham Partnership International zunächst unter der Leitung von Rev. Dr. Chris Wright und gegenwärtig unter der von Tayo Arikawe weltweit koordiniert. Dr. Wright ist weiterhin einer der bedeutendsten theologischen Berater der Lausanner Bewegung.[4]
Der Kapstadt Kongress machte sich besonders über die Krisen unserer Zeit Gedanken. Hervorstechende Themen waren zum Beispiel die zunehmende Verarmung vieler Bevölkerungsschichten in unterentwickelten Ländern und die Anhäufung von Reichtum und Wohlstandsgütern unter einer relativ geringen Oberschicht, nicht nur in der südlichen Hemisphäre, sondern auch im Westen. Andere Themen des Kongresses, die die weltweite Verbreitung des Christentums beeinflussen, umfassten die Versöhnung der Menschenrassen, der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit, der Minderung der globalen Erwärmung, die Vergrößerung der Frauenquote in Führungspositionen, den rechten Umgang mit der Homosexualität, die mündliche Überlieferung der Bibel und die Durchführung der geistlichen Kriegsführung. Dies sind alles Themen, die in die Kategorie des Dominionismus (Einführung des Königreichs Gottes als ein irdisches Reich) passen. Das Buch Der Griff zur Macht[5] beschreibt im Detail die negativen Konsequenzen des sich immer mehr ausweitenden Aktionsradius der Neo-Evangelikalen, besonders in Bezug auf die unterschiedlichen Initiativen der Lausanner Bewegung. Der in Deutschland 2017 durchgeführte Kongress Dynamissio, zu dem rund 5000 Teilnehmer nach Berlin kamen, war leider ein weiterer Meilenstein auf dem Weg von Lausanne, das Anliegen Gottes zu verhindern: die Verkündigung des Heils für den Sünder allein in Jesus Christus. Überall, wo dies in der Vergangenheit getan wurde, erfuhren die Buße tuenden Menschen ganzheitliche und nachhaltige Hilfe für Zeit und Ewigkeit.
[1] http://www2.wheaton.edu/bgc/archives/docs/Lausanne/704/ graham.htm
[2] Doug Birdsall, “Why Cape Town 2010? A Case-Statement for the Third Lausanne Congress”; http://www.lausanne.org/gatherings/related/why-cape-town-2010
[3] von seiner Lehrtätigkeit entbunden, https://www.duden.de/node/136919/revision/558678
[4] Sunday Worship from All Souls, Langham Place, London. Broadcast: Sunday, 17, October 2010, 08:00 on BBC Radio 4.