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Dr. Martin Erdmann

In der vom Martin-Bucer-Seminar herausgegebenen Publikation „Zeitschrift für Theologie und Gesellschaft“ (Ausgabe 1/2016)[1] rezensiert Ron Kubsch das Buch von Harald D. Seubert, Mission und Transformation: Beiträge zu neueren Debatten in der Missionswissenschaft.[2] Zutreffend stellt Kubsch in den beiden ersten Abschnitten seiner kurzen Rezension fest, dass die missionale[3] Theologie in den zurückliegenden Jahren „weltweit für Aufsehen gesorgt“ hat. Natürlich hätte er auch noch deutlicher hervorheben können, dass diese Theologie von ihren Kritikern äußerst kontrovers empfunden wurde und weiterhin ein explosives Gemisch von unterschiedlichen Meinungen hervorbringt. Als Grund für den Wirbel, der um die Gesellschaftstransformation entstanden ist, gibt der Rezensent Folgendes an: „Ihre Vertreter leiten aus der Reich-Gottes-Perspektive die kirchliche Verpflichtung ab, die Gesellschaft zu verändern, zum Beispiel indem sie sich für den Umweltschutz oder ‚soziale Gerechtigkeit‘ einsetzen.“

Gesellschaftstransformation sei Ergänzung zur Evangelisation

Als Beispiel dafür, dass diese konfliktreiche Debatte um das „Für“ oder „Wider“ der Gesellschaftstransformation auch in Deutschland geführt wird, erwähnt Kubsch die Durchführung der Jahrestagung des Arbeitskreises für evangelikale Mission in Herrenberg zum Thema „Evangelisation und Transformation“, zu der der damalige Vorsitzende der AfeM[4] Prof. Dr. mult. Thomas Schirrmacher anfangs des Jahres 2013 eingeladen hatte. Ron Kubsch war selbst einer der Referenten bei dieser Veranstaltung. Damals sprach er sich in seinem Vortrag im Einklang mit der Meinung von zwei anderen Referenten, dem Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell, Prof. Dr. Volker Gäckle, und dem durch „Pro Christ“ bekannt gewordenen Evangelisten Ulrich Parzany, grundsätzlich gegen die Gesellschaftstransformation aus. Auf der Seite der Befürworter standen Prof. Dr. Tobias Faix, Prof. Dr. Johannes Reimer und Prof. Dr. Thomas Schirrmacher. Der damalige Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz und Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes Pfarrer Dr. Michael Diener nahm, obgleich er ebenfalls ein Befürworter der Gesellschaftstransformation ist, eine vermittelnde Rolle ein. Dies geht aus seinem „Grußwort im Auftrag der Deutschen Evangelischen Allianz“ und aus dem Bericht des „listening teams“, zu dem er gehörte, hervor; beide Texte wurden in dem Sammelband der Tagung Evangelisation und Transformation: zwei Münzen oder eine Münze mit zwei Seiten?[5] veröffentlicht.  In diesem Sammelband wird die Strategie der Befürworter der Gesellschaftstransformation deutlich erkennbar, indem sie versuchen, die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den beiden Positionen herunterzuspielen oder sogar wegzureden. Dabei bemühen sie sich, die Gesellschaftstransformation als legitime Ergänzung zur Evangelisation plausibel zu machen. Als Christ könne man, ja müsse man sogar beides befürworten und praktizieren. Wer sich nur für das eine oder andere entscheidet, würde der Mission der Gemeinde Jesu ein Korsett auferlegen, das viel zu eng sei. Letztlich würde man vor Gott schuldig werden, wenn man die gesamte Palette dessen, was Jesus Christus seinen Nachfolgern als obersten Auftrag erteilt hat, nämlich das Königreich Gottes in dieser Welt aufzurichten, nicht in Betracht zieht. Der Erfolg dieser Verschleierungsstrategie bewirkte jedoch nur oberflächliche Resultate und war von kurzer Dauer, denn die fundamentalen Differenzen der gegenseitigen Ansichten lassen sich nun einmal nicht hinreichend übertünchen. Wenn dies so wäre, hätte man längst aufgehört, diese Debatte zu führen, und die Veröffentlichung des Buches Mission und Transformation von Harald D. Seubert zwei Jahre nach der AfeM-Tagung wäre unnötig gewesen. Die Publikation dieses Buches deutet unmissverständlich darauf bin, dass die Verschleierungsstrategie gescheitert ist.

Thomas Schirrmacher gaukelt Konsensmeinung vor

Schon der Titel des Sammelbandes der AfeM-Tagung Evangelisation und Transformation statt Evangelisation oder Transformation lässt darauf schließen, dass die Herausgeber Robert Badenberg und Friedemann Knödler den Ausgang der Debatte zwischen diesen beiden konträren Positionen im Sinne des Veranstalters Prof. Dr. Thomas Schirrmacher deuteten: eine Münze mit zwei Seiten. Dennoch wird dem sorgfältigen Leser der Umstand nicht verborgen bleiben, dass es bei dieser Debatte keineswegs um zwei nuancierte Positionen geht, die miteinander im regen Gedankenaustausch aller an dieser Diskussion Beteiligten harmonisiert werden können, sondern um konträr zueinander stehende Sichtweisen. Aber gerade diesem leicht zu gewinnenden Eindruck widerspricht Prof. Dr. Thomas Schirrmacher entschieden in der „Einführung in diese Diskussion“ und in seinem eigenen Vortrag „Das biblische Mandat, die Welt zu retten – innerlich wie äußerlich – ganz privat und ganz global“. Gleich zu Anfang seines Vortrags zitiert er aus John Warwick Montgomerys Buch Christians in the Public Square: Law, Gospel, and Public Policy zustimmend folgende Aussage und gibt damit deutlich zu verstehen, wie er sich selbst in dieser Debatte positioniert: „Wenn jemand weiß, was das Christentum wirklich ist, weiß er automatisch und per Definition, dass es von seinen Anhängern erwartet, aktiv sozialen Übeln zu widerstehen und Anstrengungen zu unternehmen, menschliche Not zu lindern.“[6]

         Ron Kubsch beschreibt im Rückblick den Zweck dieser Tagung dahingehend, dass man dort „um den Wert und das Profil der Gesellschaftstransformation gerungen“ habe. Bei jener Debatte ging es aber gerade nicht darum, den Wert und das Profil der Gesellschaftstransformation genauer zu definieren, sondern darum, ob diese überhaupt im Hinblick auf den Missionsauftrag der Gemeinde Jesu von Belang sei. Entgegen dem Resümee der beiden Befürworter der Gesellschaftstransformation, Prof. Dr. Thomas Schirrmacher und Präses Dr. Michael Diener, kam es bei dieser Tagung zu keiner Annäherung der beiden konträren Meinungen, wenn man sich sorgfältig die Referate der Befürworter und Kritiker der Gesellschaftstransformation durchliest.  Ron Kubschs abschließende Aussage lässt vermuten, dass er sich damals schon der Meinung seines Arbeitgebers Prof. Dr. Thomas Schirrmacher angeschlossen hatte: „Der Band führt ausgewogen in die Hauptposition der aktuellen Missionswissenschaft ein und ist somit ein wichtiger Beitrag im Klärungsprozess.“

Unüberwindbarer Graben zwischen den konträren Meinungen

Man muss sich die in Dr. Seuberts Sammelband Mission und Transformation leicht überarbeiteten Vorträge der Ringvorlesung an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel[7] überhaupt nicht akribisch durchlesen, um sofort feststellen zu können, dass sich erneut zwei völlig konträre Meinungen einander gegenüberstehen. Keineswegs gibt es „die Hauptposition der aktuellen Missionswissenschaft“ wieder. Und somit kann dieser Band keine ausgewogene Darlegung dieser einen Hauptposition sein. Geklärt wird letztlich nur eines, nämlich dass sich die sogenannte Hauptposition mit einer gleichfalls vehement vorgetragenen Gegenposition auseinandersetzen muss. Die Referate der Ringvorlesung in Basel brachten eigentlich nur erneut die Tatsache zum Vorschein, dass der Graben zwischen den geäußerten konträren Meinungen unüberwindbar ist. Somit kann der von diesem Band geleistete „wichtige Beitrag im Klärungsprozess“ einzig der sein, dass die vorgegaukelte Konsensmeinung von Prof. Dr. Thomas Schirrmacher und Präses Dr. Michael Diener keine Substanz in der Realität besitzt.

         Dass dies so ist, zeigt auch die Reaktion von Prof. Dr. Peter Beyerhaus, einem Teilnehmer der AfeM-Tagung in Herrenberg. In der Einführung zum „Tübinger Pfingst-Aufruf zur Erneuerung eines biblisch-heilsgeschichtlichen Missionsverständnisses“, den Prof. Beyerhaus verfasste, steht Folgendes:

"Am 1. und 2. März 2013 fand in Gomaringen bei Tübingen unter dem Namen Rolf Scheffbuch-Symposium eine Arbeitstagung von Missionswissenschaftlern und Missionsfreunden statt. Trägerin war die Internationale Konferenz Bekennender Gemeinschaften (International Christian Network) mit ihrem Institut Diakrisis."

Ewiges Heil durch zeitliches soziales Wohl ersetzt

Diese genau zwei Monate nach der AfeM-Tagung durchgeführte Arbeitstagung in Gomaringen fand statt, weil Prof. Beyerhaus als Leiter des Instituts Diakrisis die Gegenposition zur Gesellschaftstransformation deutlich zum Ausdruck bringen wollte; etwas, was er auf der AfeM-Tagung im Ganzen schmerzlich vermisst hatte. Prof. Dr. Gäckle wurde als Referent zu dieser Veranstaltung eingeladen, ließ sich aber entschuldigen. Er erlaubte es jedoch, dass sein fundiertes Plädoyer gegen die Gesellschaftstransformation, das er auf der AfeM-Tagung gehalten hatte, vorgelesen wurde. Andere Missiologen, einschließlich Prof. Beyerhaus, sprachen sich unzweideutig gegen die Pervertierung des Missionsauftrages aus, die von den Befürwortern der Gesellschaftstransformation vorgenommen wurde. Das Ergebnis der Arbeitstagung fasste Prof. Beyerhaus in dem Pfingstaufruf „Weltevangelisierung oder Weltveränderung?“[8] zusammen und beendete den Ausruf mit folgenden Worten:

"Der Ruf zur Erneuerung in der Mission setzt eine dringend nötige geistliche Erneuerung in Kirchen und Missionen voraus. Zugleich mit dieser Ermutigung richten wir eine dringende Warnung an die gesamte evangelische Missionsbewegung, besonders an die akut vom Transformations-Programm betroffene evangelikale: Möge sie sich davor hüten, durch eine zur Ideologie werdende Geschichtstheologie auf einen verhängnisvollen Irrweg zu geraten. Setzt diese doch, wie wir erkennen, an die Stelle des ewigen Heils das zeitliche soziale Wohl und vergisst, dass die Königsherrschaft Christi nicht von dieser Welt ist (Joh.18, 36)."

Ökumeniker und Evangelikale ziehen an einem Strang

Relevant ist die Erwähnung des Namens Prof. Dr. Beyerhaus, weil er einer derjenigen war, die von der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel eingeladen wurden, sein Referat gegen die Gesellschaftstransformation während der Ringvorlesung zu geben. Es ist deshalb aufschlussreich, seine Begründung ausführlicher zu zitieren, die er während dieser Ringvorlesung als Grund nannte, wieso die Gesellschaftstransformation grundsätzlich abgelehnt werden muss:

"In Joh.5,24 versichert Jesus seinen Nachfolgern:

'Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist aus dem Tode ins Leben hinübergegangen.'

      Beklagenswerter Weise ist in der Missionserklärung von Busan[9] dieses echt christologische und soteriologische Verständnis von ‘Leben’, ihrem Schlüsselbegriff, verloren gegangen. Es ist hier zu einer universellen Kraft generalisiert worden, die leicht von den Anhängern irgendeiner pantheistischen Religion oder einer Ideologie übernommen werden könnte.

      Dieses Konzept von Leben liegt auch der Einführung des Begriffes der 'Transformation' zugrunde, welche in der Genfer Ökumenischen Bewegung nunmehr die zentrale Aufgabe von Weltmission und Evangelisation bildet.

      Was uns aber besonders alarmieren muss, ist der Umstand, dass das Gleiche ja auch zunehmend in der weltweiten Bewegung der Evangelikalen stattfindet. Hier besteht zwischen dem Ökumenischen und dem Evangelikalen Missionsverständnis heute kaum noch ein Unterschied. In Busan ist dies sogar ausdrücklich erklärt worden in den an die Plenarversammlung gerichteten Grußworten der als Gäste teilnehmenden Repräsentanten der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) und der Lausanner Bewegung für Weltevangelisation. Ersterer, Dr. Thomas Schirrmacher, Vorsitzender der theologischen Kommission der WEA, versicherte den Veranstaltern, dass diese die Theologie der Busan-Erklärung voll bejahen könne!"[10]

Zusammenfassung

Und somit schließt sich der Kreis zu dem zuvor Gesagten. Die Befürworter der Gesellschaftstransformation – in Deutschland besonders Prof. Dr. Thomas Schirrmacher, Präses Dr. Michael Diener, Prof. Dr. Tobias Faix und Prof. Dr. Johannes Reimer –  versuchen, die grundlegenden Unterschiede zwischen biblischer Evangelisation und ökumenischer Gesellschaftstransformation so weit zu nivellieren, dass man als Christ nur dann innerhalb der Deutschen Evangelischen Allianz ernst genommen wird, wenn man die berechtigten Einwände gegen die Gesellschaftstransformation als Missionsauftrag der Gemeinde Jesu entweder gar nicht bekundet oder sie reumütig zurücknimmt. Gerade die beiden Sammelbände Evangelisation und Transformation und Mission und Transformation können in der Tat einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass dem an biblischer Mission Interessierten die Augen aufgehen, wie wichtig die von Prof. Beyerhaus ausgesprochene Warnung an die Christen in den deutsch-sprachigen Ländern ist, die Gesellschaftstransformation als katastrophalen Irrweg anzusehen. 

[1] http://www.bucer.de/uploads/tx_org/gudh_017b_01.pdf

[2] Harald D. Seubert, Mission und Transformation: Beiträge zu neueren Debatten in der Missionswissenschaft, Studien zur Theologie und Bibel (Wien: LIT, 2015).

[3] Die Bedeutung des Adjektivs „missional“ ist genau das, was die Befürworter der Gesellschaftstransformation als die eigentliche Ausgabe der christlichen Mission verstehen: Soziales Engagement steht entweder gleichberechtigt neben der Verkündigung des Evangeliums oder kann auch gänzlich die Aufgabe der christlichen Mission umschreiben.

[4] Arbeitskreis für evangelikale Mission; heute genannt: Evangelischer Arbeitskreis für Mission, Kultur und Religion

[5] Robert Badenberg u. Friedemann Knödler, Hrsg., Evangelisation und Transformation – „Zwei Münzen oder eine Münze mit zwei Seiten?“, Referate der Jahrestagung 2013 des Arbeitskreises für evangelikale Missiologie (AfeM) (Nürnberg: VTR, 2013) 155 S.

[6] John Warwick Montgomery, Christians in the Public Square; Law, Gospel, and Public Policy (Edmonton: Canadian Institute for Law, Theology and Public Policy, 1996) 30.

[7] Im Frühjahr 2014 führte die Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule in Basel an drei Abenden Ringvorlesungen über die Bedeutung der christlichen Mission durch. Dabei wurde deutlich, dass die Gegensätze zwischen Befürwortern und Gegnern der Gesellschaftstransformation nicht grösser sein könnten. Dr. Rolf Hille und Dr. Peter Beyerhaus nahmen eindeutig eine ablehnende Haltung dazu ein, während Dr. Stefan Schweyer (STH), Dr. Matthias Burri (IGW) und Dr. Andreas Loos (Theologisches Seminar St. Chrischona) die Transformations-Theologie vertraten, die im Laufe der vergangenen Jahre von den meisten evangelikalen Institutionen – Ausbildungsstätten, Freikirchenverbänden und Missionsgesellschaften – übernommen wurde.

[8] http://www.ikbg.net/Tuebinger-Pfingstaufruf-2013-Langfassung.pdf

[9] 10. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen 2013 in Busan (Korea)

[10] Seubert, Mission und Transformation, 57-58.